Hallo Volker,
Post by Volker BiallassHallo Thomas :-)
Post by Thomas SchmidtIn den meisten Fällen *muss* es leider genügen. Die meisten Menschen
sind aus Gründen der "Alltäglichkeit" (Arbeitsplatz, Finanzen,
Gesundheit) gar nicht dazu in der Lage, den Menschen selber zu sehen.
Oft genug ist es gar nicht gewollt, weil man sich ja herrvorragend
hinter einem Rollenspiel verstecken kann.
'Hervorragend versteckt' sind höchstens die amerikanischen Streifen-
polizisten hinter ihren verspiegelten Sonnenbrillen, an denen sie jede
Kontaktaufnahme abblitzen lassen können. 'nen normalen Schalter-
beamten kann es man aber mit einem kleinen Augenblick Ruhe, in dem
man ihn einfach als Mensch ansieht, in seiner Rollenfassade schon
ungemütlich werden lassen.
Der gesellschaftliche Status einer Person ist hierbei oft genug das
entscheidente Moment. Das Selbstverständnis, dass sich häufig einzig und
allein aus der gesellschaftlich zugewiesenen Rolle speist. Ich habe die
Erfahrung gemacht, dass die von dir beschriebene Sichtweise z. T. sehr
große Verunsicherung oder sogar Aggression auslösen kann. Je nach dem,
wie derjenige sozial angesiedelt ist. Vielleicht spielt ja auch die von
dir angesprochene "Ruhe" die entscheidente Rolle, weniger die andere
Betrachtungsweise. Ruhe, Passivität sind Dinge, die mit Nichtstun und
Faulheit verbunden werden. Für mich spielen Sie eine relativ große
Rolle. Aktivismus um jeden Preis halte ich für ein grundlegendes
Mißverständnis unserer Zeit. Das erinnert _mich_ nun wieder an einen
Werbeslogan: "Ich leb' aktiv den ganzen Tag". Wieso wird das eigentlich
als erstrebenwerter Zustand verstanden?
Post by Volker BiallassPost by Thomas SchmidtDas gilt sogar leider auch oft
genug für das familiäre Zusammenleben. Wertschätzung _kann_ aber nur auf
einer individuellen Basis erfolgen, da gebe ich dir Recht. Nun bedeutet
Wertschätzung aber grundsätzlich etwas anderes als Toleranz.
Von ihren (Toleranz) Anfängen her nicht, denn Toleranz hieß mal,
dass ich dulde, was mir auf den Nerv geht, weil dahinter jemand
steht, der einen Wert hat.
Toleranz heißt nicht, dass es mir egal ist, ob wer Tennis, Fußball
oder Schach spielt, sondern dass ich das 'pock... pock ... pock...'
auszuhalten bereit bin, wenn ich neben einem Tennisplatz wohne.
Hieße Toleranz, dass Tennis so gut wie Schach sei, wäre ich ja
von der Vernunft genötigt, die auf Schach umzudressieren ,-)
Das mag sein. Toleranz ist alltäglich gesehen eher Ignoranz. Wie dem
auch sei, selbst dies hat alles seine Grenzen. Sind diese überschritten
- die Schwelle ist einzig und allein individuell zu verstehen - wird man
Stellung beziehen. Wenn ich bspw. jemandem sage, dass mich seine
Vorlieben für dieses oder jenes nicht wirklich interessieren, dann heißt
es oft, man sein ignorant diesem Menschen gegenüber. Natürlich schwingt
darin eine Haltung des Ignorierens mit. Aber warum sollte man heucheln?
Aus Egoismus? Aus Angst? Weil man sich selbst nicht entscheiden kann und
alles toll finden muß, weil es die Mehrheit so sieht, sprich, weil es
"normal" ist? Ich kann dennoch den Menschen von der Sache trennen,
beides unterschiedlich betrachten. Genau hier kommt es im Alltag (blöde
Phrase. Eigentlich nicht nur hier, sondern überall) zu den größten
Problemen.
Post by Volker BiallassPost by Thomas SchmidtPost by Volker BiallassIch habe aber keinerlei Probleme mit dem Respekt vor einem
persönlichen Atheismus oder Glauben, wenn der aus der
Lebensgeschichte herangewachsen ist, sich mit der Person
deckt, die mir da aufrichtig begegnen will.
Sehe ich auch so. Nur: Diese Informationen wirst du nicht immer haben,
um dies wirklich beurteilen zu können.
Im Usenet zeigt sich schnell, ob mein Gegenüber neugierig ist
und Interessen folgt, sich da mal ein Stück weit mitnehmen lässt,
mich auch mal ein Stück weit herumführt, oder ob's nur ein
Hobbykoch ist, der ein und dieselbe Kohlbrühe immer wieder
aufkocht, mit jedem Re: schaler schmeckt ;-)
Und auch im Reallife kommt man schnell dahinter, ob der
Erkenntnisprozess drüben schon abgeschlossen wurde
oder noch rege im Gang ist.
Es kann aber auch sein, dass die dargebotenen Gedankengänge so
fremdartig sind (oder auch unerwartet vertaut), dass man dies im Usenet
schwierig erkennen kann. Im RL ist dies imho um Dimensionen einfacher.
Hier begegnen sich wirklich erstmal Menschen, die man relativ schnell
auch einsortieren kann (was absolut menschlich ist und mit Vorurteilen
m. E. nicht unbedingt etwas zu tun haben muss). Ich will auch gar nicht
bestreiten, dass mir fundamentailistisches Geschwätz hier schlicht und
ergreifend auf die Nerven geht und ich frage mich dann, wie jemand
gefusselt sein muß, sich hier als Heilsverkünder aufspielen zu müssen.
Ich schau mir hier z. B. den Bernhard (Berger?)an und denke mir nur:
Woher nimmt er eigentlich seine Gewissheiten her? Kommt er wirklich
nicht auf die Idee, dass seine "Erkenntnisse" absolut nichts Originelles
haben, sondern dass sie ein äußerst unausgegorener Mischmasch aus erster
und zweiter und dritter Hand sind? Er sieht sich garantiert nicht als
Hobbykoch, sondern eher als Aufklärer und gleichzeitig Richter über
atheistische Weltanschauungen. Aber irgendwie ist er auch völlig harmlos
und unbedarft, wie mir scheint. Da gibt es hier ganz andere, wirklich
unangenehme Kaliber.
Post by Volker BiallassPost by Thomas SchmidtUnd auch hier wieder: Respekt ist schon ein hoher Anspruch,
der einiges an Einsicht voraussetzt.
Wenn man aber Einsicht nimmt, dann kommt der Respekt quasi
von selbst.
Hmm. Sehe ich nicht so. Es gibt die Dinge, die kann ich gerade _wegen_
der Einsicht (Blick hinter die Kulissen) nicht respektieren, noch nicht
einmal tolerieren. Und es gibt durchaus Leute, die ich sehr bewußt
ignoriere, weil ich weiß, dass es keine gemeinsame Basis gibt, weder
sachlich noch menschlich. Es ist mir alle male lieber als einen "Krieg"
vom Zaun zu brechen.
Post by Volker BiallassPost by Thomas SchmidtLeben und leben lassen ist imho der kleinste gemeinsame Nenner,
der im Großen betrachtet realistisch wäre.
Im Großen und Ganzen sind realistisch betrachtet viel zu viele so
mit ihrer simplen Existenz schon überlastet, dass da zum Leben
kaum noch Raum bleibt.
Wohl war, wer kennt das nicht? Aber die Ursachen hierfür kann man nicht
nur auf die individuelle Ebene verschieben.
Post by Volker BiallassWir(tm) haben ein dickes Problem mit dem 'Leben'.
»Wohnst du noch oder lebst du schon?«
»Lebst du noch oder wohnst du schon?«
Da scheint die Furcht vorm Leben zur Flucht in den Existenzraum
zu drängen, Ikea zur Verlockung, weil zur Alternative 'wohnen
statt leben' zu machen ,->
Tja, Materialismus versus Idealismus. Beides Seins-Paradigmen, die pur
genossen in den Untergang führen können. Das Leben ist für mich
gesprochen das größte Mysterium, das ich kenne. Irgendwann muß man sich
mit seiner Existenz und den ganzen Umständen derselben eben arrangieren.
Viel mehr dürfte gar nicht möglich sein. Einen "Lebenssinn" muß sich
jeder selber geben. Universell gesehen wüßte ich nicht, woraus er
bestehen sollte. Ich erkenne allerdings eine gewisse Ziel,-und
Orientierungslosigkeit wenn es darum geht, seine eigene Existenz zu
erfassen. Es spricht vieles dafür, das gerade dies letztendlich der
Grund religiöser Gedanken und Befindlichkeiten ist, die Hoffnung auf ein
Jenseits, ein ewiges Leben etc., ein vertrösten auf das "Danach".
Post by Volker BiallassPost by Thomas SchmidtMan lernt jeden Tag dazu, wenn man denn will.
Da liegt der Hund begraben, denn immer neues zu entdecken
bedeutet auch: mit immer mehr umgehen zu müssen.
Genau das ist die Herausforderung und ggf. aber auch Überforderung.
Post by Volker BiallassUnsere zunehmend rationalistische Erziehung hat dafür Sorge
getragen, dass jeder Umgang als zu lösendes Problem angesehen
wird, womit gilt: je mehr (verschiedene) Umgänge .. je mehr
Probleme ... je mehr Arbeit ... je weniger Freizeit.
[Da kommt auch der schlappe Toleranzbegriff her, dass mich
der andere ja nichts angeht, solange er mich nicht an geht.]
Gibt es wirklich eine zunehmend rationalistische Erziehung? Mir scheint
eher das die Gesamtheit der Einflüsse auf Kinder und Jugendliche dazu
führt, dass sie zunehmend Scheinwelten für real halten. Probleme lösen
heißt im Grunde genommen nichts anderes als leben. Der Gegensatz den du
hier aufmachst, ist mir nicht ganz klar. Sicherlich wird alles immer
komplizierter (wenn ich da nur an Computer denke! Meine Güte, vor 15
Jahren war das alles noch so einfach), das heißt doch aber nicht
automatisch, dass dadurch die Lebensqualität sinken muß. Auch das
miteinander _muß_ nicht darunter leiden. Aber in der Tat, manche Dinge
gehen mich tatsächlich _nichts_ an. Irgendwo muß man einen Strich auf
den Boden ziehen, um nicht zu zerfleddern.
Post by Volker BiallassPost by Thomas SchmidtDer schiere Glaube - an
was auch immer- ersetzt weder das Denken noch die Tat (die gute?).
Hierzu gehört natürlich eine gute Portion Skepsis im Hinblick auf die
eigenen Möglichkeiten und der, der anderen.
Schieren Glaube würde ich als Mantelstoff verstehen, aus dem ich
mir Uniformen nähe. Die einen tragen das Futter dann innen, gelten
als ok, weil genau so wie ich, die anderen tragen das Futter außen,
müssen umgestülpt werden.
Dann kann dies auch nur mit einer religiösen Weltanschauung im
Zusammenhang stehen. Es sei denn du willst diesen Begriff weiter
ausdehnen auf alle nicht rationalen Überzeugungen, die ein Mensch haben
kann. Glaube (religiös) kann durchaus die Form einer dogmatischen
Ideologie annehmen, ist sogar dafür imho besonders anfällig. Einfach
deshalb, weil die Inhalte in der Regel nicht überprüfbar sind.
Post by Volker BiallassUnd je mehr Worte sich manche hier beim Bemühen zum Umkrempeln
machen, je weniger Denkbewegung blitzt da durch. (Der Denkmotor
wird zwar im Leerlauf hochgejagt, dass es nur so jault, das
Logikgetriebe in seinen Lager kreischt und frißt, aber das
Denkding fliegt allenfalls in alle Richtungen auseinander,
wenn denn der Sprit nicht vorher ausgeht, ohne dass es der
Summenvektor der Einzelbewegungen da irgendwie weg von
der Null schafft.)
Das findet man allerdings nicht nur bei den Skeptikern. Wie gesagt, auf
Teufel komm raus missionarisch tätig werden wird irgendwann zum
Bumerang. Das betrifft aber von Hause aus eher Christen, da sie ja
diesen Auftrag haben. Glauben sie zumindest.
Post by Volker BiallassSkepsis allein als Gaspedal hilft nicht viel, es braucht auch Vertrauen
(eigentliche Bedeutung von 'Glauben') als Bremse, um die Drehzahl
in einem vernünftigen Bereich zu halten, die Denkmaschine weder
untertourig absaufen, noch übertourig kaum anderes als Schadstoffe
produzieren zu lassen. Und man sollte halt nur selten ausgekuppelt
denken, den Gang drin lassen, der erst aus denken dann auch
bewegen macht.
Selbst Denken ist manchmal fürchterlich unbequem, anstrengend und
kompliziert. Warum muß man denn das Rad des eigenen Lebens selbst
erfinden? Spaß beiseite, Ernst komm raus: Ich sehe die Skepsis auch
nicht als alleiniges Instrument für die Entwicklung eines eigenen
Standpunktes, egal was auch immer der Inhalt, das Thema sein mag.
Sie ist eher eine Methode zur Urteilsfindung. Das Mittel sollte dabei
natürlich nicht zum Zweck mutieren. Allumfassender Skeptizissmus führt
zur absoluten Nullaussage, zum Nihilismus. Übersteigerte Gläubigkeit
(Leichtgläubigkeit) führt zur Unselbständigkeit, Abhängigkeit und
Realitätsverlust. Die richtige Mischung zu finden, dürfte das
eigentliche Kunststück sein.
Meine nächste Antwort wird etwas auf sich warten lassen, da ich jetzt
erstmal außer Haus bin. Daher erstmal ein schönes Wochenende. :-)
Gruß
T. Schmidt